Stellungnahme von Weltveränderer e.V. zum Nachhaltigkeitsgebot in der saarländischen Verfassung

Verfasser*innen: Max Meissauer und Noemie Messina

Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Justiz-, Verfassungs- und Rechtsfragen, Wahlprüfung, Datenschutz und Informationsfreiheit des Landtags des Saarlandes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes Artikel. 59a Abs. 1, Drucksache/17-505-Neu.

Der Weltveränderer e.V. begrüßt die Einführung eines Nachhaltigkeitsgebot in die saarländische Verfassung ausdrücklich, möchte jedoch einige Problempunkte des bisherigen Entwurftextes aufzeigen.

1. Fehlende Legaldefinition des Begriffs Nachhaltigkeit
Der Entwurfstext gibt es dem Staat lediglich auf nach dem Grundsatz der Nachhaltigkeit zu handeln. Zur Frage welche Dimension der Nachhaltigkeit vom Staatsziel des neuen Art. 59a SVerf umfasst ist, schweigt sich die Norm aus. Heutzutage wird zur Definition des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung auf die sogenannte Brundtland-Defitintion von 1987 verwiesen (1). Demnach ist „Nachhaltige Entwicklung eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Angelehnt an die Brundlandt Definition sind auch entsprechende Vereinbarungen und Zielvorstellungen wie die Rio-Deklaration der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) sowie der Agenda 21.

Fraglich ist, inwieweit der vorliegende Entwurf in seiner Schutzrichtung auch ökonomische und soziale Bereiche der Nachhaltigkeit umfasst. Hier wäre eine klarstellende Erläuterung entweder im Verfassungstext selbst oder in der Gesetzesbegründung wünschenswert.

2. Schutzwirkung
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Schutzwirkung des neuen Nachhaltigkeitsgebots eventuell stärker herauszuarbeiten ist. Im Gegensatz zu den klassischen Staatszielen wie zum Beispiel dem Sozialstaatsprinzips wird kein Ziel definiert, welches durch staatliche Maßnahmen erst einmal erreicht werden muss, sondern im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes versucht staatliche Maßnahmen unter einen Nachhaltigkeitsvorbehalt zu stellen.
Das Grundgesetz sieht für das Staatsziel des Umwelt- und Tierschutzes in Art. 20a GG eine Trias aus Bewahren-, Verbessern und Begründen vor.

Einen anderen Ansatz verfolgt hier das Unionsrecht. Art. 11 AEUV charakterisiert den Umweltschutz als Querschnittsaufgabe der Union. Art. 11 AEUV ist in diesem Rahmen bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken zu beachten (2). Umstritten ist jedoch bei der Querschnitts Klausel, inwieweit dieser in ihrer Ausgestaltung Rechtsverbindlichkeit zukommt. Der Europäische Gerichtshof hat sich hierzu bisher in seiner Rechtssprechung noch nicht klar geäußert. Lediglich der Generalanwalt Jacobs hat in seinen Schlussanträgen in der Rs. PreussenElektra der Querschnittsklausel explizit Rechtswirkung zugesprochen (3).

Klar ist jedoch, dass Art. 20a GG, sowie auch dem bisherigen Art. 59a SVerf Rechtswirkung zukommt und auch der neuen Nachhaltigkeitsklausel zukommen soll. So hat zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimaschutzbeschluss auf den Ressoucenschutz für künftige Generationen Bezug genommen.

Der Entwurfstext verweist zudem auf einen Nachhaltigkeitsvorbehalt. Dieser soll neue Vorhaben ähnlich dem Ausrufen des Klimanotstandes durch verschiedenste Kommunalparlamente seit 2019. Der Mechanismus eines Nachhaltigkeitsvorbehalt für legislative und exekutive Maßnahmen ist wünschenswert. Es fehlt hierbei jedoch an einem klaren Mechanismus, unter welchem der Landtag einen Nachhaltigkeitsvorbehalt anordnen kann. Eine entsprechende klarstellende Regelung in einem weiteren Absatz oder einem entsprechenden Gesetz wäre wünschenswert.

3. Staatszielbestimmung vs. Leistungsrecht
Eine Ausgestaltung des Nachhaltigkeitsgebots als Staatszielbestimmung ermöglicht eine zumindest objektive Bindung staatlichen Handels. Eine Staatszielbestimmung verhindert jedoch eine Bindung natürlicher und juristischer Personen außerhalb der Verfassung. Abhilfe könnte hierfür durch die Gestaltung des Nachhaltigkeitsgebots als Leistungsgrundrecht geschaffen werden. Leistungsgrundrechte verpflichten den Staat zu einem bestimmten Handeln in einem grundrechtlich vorgegebenen Bereich. Leistungsgrundrechte sind an sich klassische Grundrechte und auch der saarländischen Verfassung nicht unbekannt (4). Hierbei könnte der Grundrechteinhaber die Beachtung des Nachhaltigkeitsgebot von allen drei Staatsgewalten verlangen und gegebenenfalls im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gerichtlich einklagen (5). Eine individuelle Einklagbarkeit wäre zwar aus Sicht des Grundrechtsberechtigten grundsätzlich wünschenswert. Fraglich ist jedoch, ob ein Nachhaltigkeitsgebot hinreichend konkret wäre, um einen Individualschutz durch ein Leistungsgrundrecht zu ermöglichen. Ein Nachhaltigkeitsgebot würde es jedoch nur dem Grundrechtsverpflichteten auftragen bei seinem Handeln nachhaltige Betrachtungen mitzudenken. Der Leistungsumfang eines Nachhaltigkeitsgebots als Leistungsgrundrecht ist demnach zu gering, um dem Staat im Rahmen seiner Grundrechtsverpflichtung das Gewähren eines bestimmten Handelns aufzutragen. Hierin ist auch die strukturelle Schwäche im Rahmen einer grundrechtlichen Verpflichtung zu sehen. Wohingegen Freiheitsgrundrechte als klassische Abwehrrechte des Individuums gegenüber dem Staat zu verstehen sind und entsprechendes staatliches (nicht-)Handeln klar gerichtlich feststellbar ist, ist eine Nachhaltigkeitsklausel als Leistungsgrundrecht so allgemein, dass eine gerichtliche Feststellung einer Grundrechtsverletzung nur in extremen Ausnahmefällen möglich erscheint.

Vorteilhaft im vorliegenden Fall erscheint hier die anvisierte Idee der Schaffung einer Staatszielbestimmung. Staatszielbestimmungen sind ihrer Natur nach rechtsverbindlichen Normen die den Staat als unmittelbar geltendes Verfassungsrecht bindet (6). Wie auch bereits bei der Staatszielbestimmung des Umweltschutzes in Art. 20a GG und Art. 59a SVerf a.F. können Staatszielbestimmungen im Rahmen von Verfassungsbeschwerden als Auslegungsmaßstab herangezogen werden (7). Hierdurch wäre eine ausreichend hohe Verbindlichkeit für den Verfassungsgeber erreicht und auch die Grundrechtsberechtigten würden von der Norm stärker profitieren als würde es sich lediglich um einen politischen Programmsatz handeln.

4. Rechtsvergleichende Betrachtung
Mit der Einführung eines Nachhaltigkeitsgebots als Staatsziel betritt das Saarland sowohl im Vergleich mit anderen Bundesländern als auch im europäischen Vergleich Neuland. Sowohl das Grundgesetz als auch die anderen Landesverfassungen kennen bisher kein eigenes Nachhaltigkeitsgebot. Eine Art Nachhaltigkeitsgebot lässt sich aus der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen aus der Präambel der schweizerischen Bundesverfassung ableiten. Ein klares Nachhaltigkeitsgebot kennt die schwedische Verfassung in § 2 Abs. 3. (8) Des Weiteren kennen auch noch einige Regionalverfassungen in Italien und Spanien Nachhaltigkeitsverpflichtungen. Kennzeichnend für die vorhandenen Nachhaltigkeitsgeboten im Ausland ist eine ganzheitliche Betrachtung der Nachhaltigkeit ähnlich wie auch bei der entsprechenden Regelung im Unionsrecht. Demnach wäre es auch wünschenswert, wenn sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des saarländischen Nachhaltigkeitsgebots von der entsprechenden Tradition leiten lassen würde.

5. Abschließende Würdigung
Der saarländische Verfassungsgesetzgeber betritt mit der Schaffung eines Nachhaltigkeitsgebots in der saarländischen Verfassung zumindest im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts Neuland. Aufgrund der Offenheit des Begriffs der Nachhaltigkeit und der Vielschichtigkeit der damit verbundenen Themen begrüßen wir die Ausgestaltung des Nachhaltigkeitsgebots als Staatsziebestimmung im Rahmen des Art. 59a SVerf. Wie bereits oben ausführlich dargestellt, sehen wir jedoch im Rahmen der genauen Ausgestaltung der Norm noch Präzisierungs- und Klarstellungsbedarf um einen adäquaten Schutz durch das Nachhaltigkeitsgebotes jenseits einer reinen politischen Programmsetzung erreichen zu können.


(1) World Commission on Environment and Devellopement: Our Common Future, 1987.
(2) Calliess, in Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 11, Rn. 6. Kahl, in Streninz, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV, Rn. 10f.
(3) GA Jacobs Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Z. 231.
(4) Z.B. Wendt/Rixecker, Verfassung des Saarlandes, Art. 23.
(5) Ipsen, Staatsrecht II, S. 29.
(6) Calliess, in Dürig et al., Grundgesetz, Art. 20a, Rn. 29.
(7) BVerfG, Beschluss vom 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20
(8) Mit umfassender Würdigung: Häberle, Nachhaltigkeit und Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 180 ff. (182 ff.)